Phil-osophie am Freitag
Heute ist Freitag. Das ist schonmal eine feine Sache!
„Gute Vorsätze“ fürs neue Jahr festlegen – oder wie ich es nenne „Stolperfallen für die nächsten 12 Monate vorbereiten“ kommt zum Jahresende mal wieder schwer in Mode. Es ist mir immer wieder ein Rätsel, dass Menschen sich so etwas antun. Ganz besonders gemein zu sich selbst sind ja diejenigen, die solche Dinge auch noch schriftlich festhalten. Das finden Sie nicht nachvollziehbar?
Nun, dann schauen Sie sich doch Ihre „Guten Vorsätze“ mal genauer an: Sie wollen mit dem Rauchen aufhören? Dann los. Was hat das arme Jahr 2013 damit zu tun? Den ersten Rückfall werden Sie im Normalfall spätestens nach zwei Wochen haben. Das bedeutet nicht, dass Sie schwach sind oder unfähig, ein Laster abzulegen. Es bedeutet einfach nur, dass Sie ein Mensch sind. Und dass Sie schon jetzt den ersten „Rückschlag“ für das neue Jahr planen. Klingt nicht so super klug. Mein Vorschlag, wenn Sie mit dem Rauchen aufhören wollen: Hören Sie mit dem Rauchen auf.
Sie wollen im nächsten Jahr so richtig loslegen?
Ein Buch schreiben?
Ein Lied aufnehmen?
Endlich den gewünschten Partner ansprechen?
Die Suche nach dem Traumjob intensiv angehen? Endlich „ich selbst“ sein?
Die „perfekte“ Wohnung finden?
Und das geht jetzt wohl gerade nicht?
Warum sollte es nächstes Jahr besser sein?
Fragen Sie sich doch lieber mal, warum Sie es noch nicht gemacht haben. Das hat einen Grund. Vielleicht ist es die Angst, „aus dem Schatten zu treten“, vielleicht hatten Sie aber auch einfach keine Zeit? Soso.
Und nächstes Jahr haben Sie also mehr Zeit?
Und das wissen Sie schon jetzt?
„Nächstes Jahr nehme ich mir die Zeit einfach“ ist Ihre Antwort?
Da müssen Sie selber lachen, oder?
Nehmen Sie sich die Zeit doch jetzt.
Im Grunde ist es doch so: Der Tag, an dem die meisten Diäten beginnen, ist „Morgen“. Die Zeit, gute Vorsätze umzusetzen ist „nächstes Jahr“. Vielleicht ist es keine schlechte Idee sich einmal die Frage zu stellen, ob sie diese Dinge wirklich wollen, oder ob Sie nur glauben, dass Sie sie wollen sollen? Und nachdem alle die Dinge aussortiert sind, die gar nicht zu Ihnen passen, legen Sie los!
Konfuzius schlägt Folgendes vor: „Wenn Du die Absicht hast, Dich zu erneuern, tu es jeden Tag“. Und die Idee ist gar nicht doof. Warum warten? Auch wenn die Werbeindustrie uns immer wieder einhämmert, dass „think big“ das Motto der Zeit sei, schlage ich vor: „live small“. Leben Sie die kleinen Zeiteinheiten!
Allein das kommende Wochenende bietet Ihnen 2880 Minuten, sich neu auszuprobieren! In diesen zweitausendachthundertachzig Minuten können Sie zum Beispiel mindestens 50 mal probieren, mit dem Rauchen aufzuhören. Wenn Sie 49 mal scheitern, stehen Sie Montag immer noch als Gewinner da! Und sie haben 49 Situationen kennengelernt, die sie zum Rückfall verführen. 49 Lessons learned in one Weekend. Vielleicht ist das schon der Titel für das Lied oder das Buch, das Sie schreiben wollten? Inspiration liegt auf der Straße. Warum sollten Sie bis nächstes Jahr warten, um sie aufzusammeln?
Außerdem wäre es furchtbar ärgerlich, wenn Die „Mayaforscher“ Recht hätten und die Welt am 21.12. unterginge. Dann wären Sie gar nicht dazu gekommen, Ihrem Wunschpartner die Liebe zu gestehen. Das ist übrigens ein schönes Beispiel, warum wir Dinge gerne aufschieben. Etwas Neues zu tun, birgt immer die Möglichkeit des Scheiterns. Was, wenn er oder sie mich nicht will? Was, wenn ich im „Traumjob“ versage? Nun, dann wissen Sie es. Und zwar jetzt schon. Und in spätestens einem halben Jahr ist ihr Herz wieder frei für eine neue Liebe, oder sie können schon jetzt anfangen, eine Fortbildung zu besuchen, oder an den Lücken zu arbeiten, die Sie daran gehindert haben, Erfolg in Ihrem Wunschberuf zu haben.
Vielleicht ist aber weder Angst, noch mangelnde Zeit, die Ihnen die Erfüllung Ihrer Planung verwehrt, sondern einfach die gesamte „Großwetterlage“? Nun, Charles Dickens, der bereits als Kind als Schuhpolierer und Fabrikarbeiter seine gesamte, im „Schuldgefängnis“ einsitzende Familie ernähren musste und später als Schriftsteller unter anderem mit „Oliver Twist“, einem Roman über einen Jungen, der in schwierigsten Verhältnissen aufwächst, große Erfolge feierte, sagte „selbst eine große Tür braucht nur einen kleinen Schlüssel“. Vielleicht reichen also schon kleine Veränderungen, um Großes zu bewegen? Vielleicht ist die Situation in der Sie gerade feststecken gar nicht das Problem, sondern die Lösung? Wieviele wirklich berührende Songs kennen Sie, in denen davon gesungen wird, dass die erhoffte Liebe tatsächlich ohne Probleme gefunden wurde? Könnte es sein, dass der Wille nach Veränderung die größte Triebfeder ist?
Und dafür ist es wichtig, zu wissen, was man nicht möchte. Wo man nicht sein will. Vermutlich hätte Charles Dickens, wäre er in einem Eliteinternat groß geworden, diese Geschichten nicht schreiben können. Und auch nicht schreiben brauchen. Unsere Welt wäre sicherlich ärmer gewesen. Deshalb ist es vielleicht gar nicht so blöd, den kleinen Schlüssel zu suchen, anstatt sich an einer großen Tür abzuarbeiten und den Kopf einzuziehen, weil man denkt „so eine solide Pforte krieg ich nie aufgestoßen, das probier ich lieber erst nächstes Jahr“.
Daher hier meine Vorschläge für „gute Vorsätze“ für 2013:
1.) keine guten Vorsätze ausdenken.
2.) Gute Ideen umsetzen, wenn Sie kommen.
3.) 525600 Minuten mit Leben füllen.
4.) Wenns mal stockt: weiteratmen!
Das Gute an dieser Liste: Sie funktioniert auch für 2014!
Ein schönes Zitat von Christian Morgenstern lief mir dazu gerade noch über den Weg: „Wir brauchen nicht so fortzuleben, wie wir es gestern getan haben! Trennen wir uns von diesem Gedanken – und tausend Möglichkeiten laden uns zu einem neuen Leben ein!“
Viel Spaß dabei und ein Wochenende mit sauschönen 2880 Minuten wünscht
Philipp S. Holstein
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Unser Kolumnist Dr. Phil ist auch bekannt als Autor Philipp S. Holstein und hat das Buch “Glücklich werden ohne Ratgeber. Ein Ratgeber” geschrieben.